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Sich von alten Mustern befreien

Wir haben alle – ob von wohlmeinenden Eltern, Lehrern, Pfarrern oder anderen Leuten – gründlich gelernt, unser menschliches Potential einzuschränken. Dieser zerstörerische kulturelle Lernprozess ist über Generationen und sogar Jahrhunderte weitergegeben worden und bestimmt unser Leben so selbstverständlich, dass wir uns dessen nicht mehr bewusst sind. In einem seiner Auftritte nahm sich der Komiker Buddy Hackett die reichhaltige Küche seiner Mutter vor und behauptete, dass ihm erst klar wurde, dass man auch ohne Sodbrennen vom Tisch aufstehen kann, als er in der Armee war. Und so nehmen wir auch Schmerz, der durch destruktive gesellschaftliche Konditionierung erzeugt wird und vollkommen in unser Leben integriert ist, nicht wirklich deutlich wahr. Es ist ein enormer Einsatz an Energie und Bewusstheit notwendig, um diesen zerstörerischen Lernprozess zu erkennen und ihn in Gedanken und Verhaltensweisen umzuwandeln, die wertvoll und nützlich für unser Leben sind.

Das erfordert Vertrautheit mit den eigenen Bedürfnissen und die Fähigkeit, mit sich selbst in Kontakt zu sein, beides Eigenschaften, die den Menschen in unserer Kultur nicht ohne weiteres zur Verfügung stehen. Nicht nur, dass wir es nie gelernt haben, mit unseren Bedürfnissen vertraut zu werden, wir sind sogar oft einem kulturellen Training ausgesetzt, das unser Bewusstsein in dieser Richtung blockiert. Wie schon erwähnt, haben wir eine Sprache geerbt, die Königen und Königinnen und Machteliten in dominanzorientierten Gesellschaftssystemen diente. Die Mehrheit der Bevölkerung wurde dagegen entmutigt, sich ihrer Bedürfnisse bewusst zu werden und statt dessen dazu erzogen, sich Autoritäten zu unterwerfen und ihnen zu gehorchen. Nach dem Verständnis unserer Kultur sind Bedürfnisse negativ und zerstörerisch. Bezeichnet man einen Menschen als „bedürftig", wird damit Unfähigkeit oder Unreife assoziiert. Wenn Menschen ihren Bedürfnissen Ausdruck verleihen, werden sie oft als „selbstsüchtig" abgestempelt, und das persönliche Fürwort „ich" in Wort und Schrift wird gleichgesetzt mit Egoismus oder Bedürftigkeit.

Indem die Gewaltfreie Kommunikation uns dazu anregt, Beobachtung und Bewertung voneinander zu trennen, gefühlsbestimmende Gedanken und Bedürfnisse zu erkennen und unsere Bitten in einer klaren Handlungssprache auszudrücken, macht sie uns die gesellschaftliche Prägung bewusster, die in jedem Augenblick unseres Lebens auf uns wirkt. Wenn wir diese Prägung ins Licht unseres Bewusstseins rücken, dann tun wir den wichtigsten Schritt, um ihren Einfluss auf uns zu verringern.

Wir können uns selbst von gesellschaftlicher Konditionierung befreien.

Marshall B. Rosenberg: "Gewaltfreie Kommunikation – eine Sprache des Lebens"  S. 191

Weitere Gedanken von M. B. Rosenberg findest du hier: