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Die
Schule der Tiere |
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GLEICHES RECHT FÜR ALLE - ODER: VOM SEGEN DER KOMPENSATORISCHEN ERZIEHUNG Ausgedacht von G.H. Reavis
Eines
Tages beschlossen die Tiere, dass sie etwas unternehmen müssten, um den
Anforderungen der Zukunft gewachsen zu sein und sie gründeten eine
Schule. Sie führten einen Lehrplan für Leibesübungen mit den Fächern
Laufen, Klettern, Schwimmen und Fliegen ein und beschlossen, weil das die
Durchführung vereinfachte, dass jedes Tier an jedem Fach teilnehmen musste. Die
Ente war eine hervorragende Schülerin im Schwimmen und sogar besser als
ihr Lehrer, bekam befriedigende Noten im Fliegen, war aber schwach im
Laufen. Da sie im Laufen so langsam war, musste sie häufig nachsitzen und
auch das Schwimmen aufgeben, um das Laufen zu üben. Das ging so lange,
bis ihre Schwimmfüße arg verschlissen waren und sie nur noch eine
durchschnittliche Schwimmerin war. Aber das wurde an der Schule
akzeptiert, so dass sich keiner Gedanken darüber machte - außer der
Ente. Der
Hase war anfangs Klassenbester im Laufen, erlitt dann aber einen
Nervenzusammenbruch weil er im Schwimmen soviel nachholen musste. Das
Eichhörnchen war ausgezeichnet im Klettern, bis der Unterricht im Fliegen
es total frustrierte: auf Anweisung des Lehrers musste es stets vom Boden
aufwärts starten statt vom Baumgipfel aus nach unten. Diese Überanstrengung
hatte zur Folge, dass das Eichhörnchen schließlich lahmte und eine drei
im Klettern und eine Vier im Laufen bekam. Der
Adler war ein Problemkind und wurde streng herangenommen. Im Klettern war
er stets der erste auf dem Baum, bestand allerdings auch hartnäckig auf
seiner eigenen Methode hinaufzukommen. Am Ende des Schuljahres hatte ein nicht ganz normaler Aal, der außerordentlich gut schwimmen und auch ein bisschen laufen, klettern und fliegen konnte, den besten Notendurchschnitt und durfte auf der Abschlussfeier die Abschiedsrede halten.
Wilhelm
Grote schrieb eine Fortsetzung: Der
Aal, der Klassenbester in der Schule der Tiere geworden war, obwohl er (außer
im Schwimmen) in keinem Fach die Bestleistung schaffte, hatte - wie alle
seine Mitschüler - die große Bewährungsprobe seines Lebens noch vor
sich. Er wusste, dass er ein zweites Mal in seinem Leben den langen Weg zu
schwimmen haben würde aus seinem Teich über nachtfeuchte Wiesen, durch Bäche
und Flüsse in das Meer und weiter bis in den südwestlichen Nordatlantik,
um den Sinn seines Lebens zu erfüllen. Auf
diesem Weg aber musste er an der Südküste Irlands vorbei, und dort
lauerte sein bösartiger Vetter, der riesengroße Conger, der nicht davor
zurückschreckte, auch seine kleinen Verwandten, die Aale zu fressen. Nun
kam unser Klassenbester dort vorbei. Der böse Vetter war da und stellte
ihm nach. In diesem Augenblick entsann sich der Aal seiner Schule, er
schnellte aus dem Wasser und nutzte die mit vieler Mühe erlernten - und,
zugegeben, an den Flugkünsten des Mitschülers Adler gemessen, jämmerlichen
- Flugkünste, kam ein paar Meter weiter und war tatsächlich dem bösen
Conger entkommen. Der
Aal wusste, als er die Küstengewässer vor Irland verließ und im
tieferen Wasser weiter nach Westen schwamm, dass er der allgemeinen
Tierschule - trotz aller Anstrengungen, die sie ihm bereitet hatte - sein
Leben verdankte. "Gut",
sagte er zu sich, "dass ich damals das Angebot, in die
Schwimm-Spezialschule zu gehen, nicht angenommen habe. Dort hätte ich
Schnell-Schwimmen gelernt, und Schöne-Kurven-Schwimmen und vielleicht
sogar In-Guter-Haltung-Aufrecht-Im-Was-ser-Stehen, aber nicht ein paar
Meter fliegen, was nur wenige Fische können." Eine ganze Weile später, längst hatte er den Festlandssockel Europas hinter sich gelassen, dachte der Aal: "Aber von meiner eigentlichen Bestimmung, von der Aufgabe und dem Ziel meines Lebens, hat niemals jemand in meiner Schule gesprochen -".
Zu gern hätte er gewusst, ob die Schwimm-Spezialschule für hochbegabte Aale nur Schwimmen lehrte, oder ob man dort den Schülern auch etwas zum Sinn des Lebens sagte.
Deutscher Text in: Förderung besonders begabter Schüler in niedersächsischen Schule, Tagungsbericht, Goslar 23.-25.03.1987, S. 15/16 gefunden bei: http://iikuh.de/modules.php?op=modload&name=Sections&file=index&req=printpage&artid=3 |