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Auslöser kontra Ursache: Praktische Auswirkungen
Auszug aus dem Buch "Gewaltfreie Kommunikation" von Marshall B. Rosenberg, S 167/168
Ich
betone die Unterscheidung zwischen Ursache und Auslöser aus
praktischen, taktischen und auch aus philosophischen Gründen. Ich
möchte diesen Punkt noch einmal verdeutlichen und kehre deshalb zu
meinem Gespräch mit John, dem schwedischen Gefangenen, zurück.
John:
„Vor drei Wochen habe ich bei der Gefängnisleitung einen Antrag
eingereicht, und sie haben bis jetzt noch nicht darauf geantwortet."
MBR: „Als das passiert ist, waren Sie weshalb wütend?"
John: „Das habe ich Ihnen gerade gesagt. Sie haben auf meinen Antrag nicht reagiert!"
MBR:
„Einen Moment. Anstatt zu sagen: 'Ich habe mich geärgert, weil sie . .
. ' machen Sie bitte eine kurze Pause und werden Sie sich bewusst, was
Sie zu sich selbst sagen, das Sie so ärgerlich macht."
John: „Ich sage gar nichts zu mir selbst."
MBR: „Halt, machen Sie langsamer, hören Sie einfach auf das, was in Ihnen vorgeht."
John
(denkt still nach und dann): „Ich sage zu mir, dass sie keinen Respekt
vor Menschen haben; sie sind ein Haufen kalter, gesichtsloser
Bürokraten, die sich um niemanden kümmern außer um sich selbst! Die
sind wirklich ein Haufen . . .“
MBR: „Danke, das ist genug. Jetzt wissen Sie, warum Sie sich ärgern — es kommt von dieser Art zu denken."
John:
„Aber was stimmt nicht an dieser Art zu denken?"
MBR: „Ich sage nicht,
dass mit dieser Art zu denken irgend etwas nicht stimmt. Fällt Ihnen
auf, dass ich das gleiche Denkmuster hätte wie Sie, wenn ich sagen
würde, es stimmt mit Ihnen etwas nicht, weil Sie so denken? Ich meine
nicht, dass es falsch ist, Leute zu verurteilen, sie gesichtslose
Bürokraten zu nennen oder ihre Handlungen als rücksichtslos und
egoistisch zu bezeichnen. Wenn Sie jedoch so denken, dann macht Sie das
sehr ärgerlich. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Ihre Bedürfnisse:
Was sind Ihre Bedürfnisse in dieser Situation?"
John (nach
langem Schweigen): „Marshall, ich brauche die Weiterbildung, die ich
beantragt habe. Wenn ich diese Weiterbildung nicht bekomme, dann - so
wahr ich hier sitze - bin ich wieder in diesem Gefängnis, kaum dass ich
draußen war."
MBR: „Wenn Sie jetzt mit Ihrer Aufmerksamkeit bei Ihren Bedürfnissen sind, wie fühlen Sie sich da?"
John: „Ich habe Angst".
MBR:
„.Versetzten Sie sich jetzt mal in jemanden von der
Gefängnisverwaltung. Wenn ich ein Insasse bin, werden meine Bedürfnisse
dann eher erfüllt, wenn ich zu Ihnen komme und sage: ,Hallo, ich
brauche diese Weiterbildung dringend, und ich habe Angst davor, was
passieren wird, wenn ich sie nicht bekomme oder wenn ich auf Sie zugehe
mit dem Bild eines gesichtslosen Bürokraten in mir? Auch wenn ich das
nicht ausspreche, werden meine Augen zeigen, was ich denke. Auf welche
Art werden meine Bedürfnisse eher erfüllt?"
(John starrt schweigend auf den Boden.)
MBR: „Hallo, Kollege, was ist los?"
John: „Kann ich jetzt nicht drüber sprechen."
Drei
Stunden später kam John zu mir und sagte: „Marshall, ich wünschte, Sie
hätten mir das von heute morgen vor zwei Jahren beigebracht. Dann hätte
ich meinen besten Freund nicht umbringen müssen."
Alle
Gewalt ist das Ergebnis davon, dass Menschen wie dieser junge Gefangene
auf das Denkmuster hereinfallen, dass ihr Schmerz von anderen Menschen
herrührt und dass es diese Menschen konsequenterweise verdienen,
bestraft zu werden.
Wenn wir uns unserer Bedürfnisse bewusst werden, dann macht der Ärger den lebensbejahenden Gefühlen Platz.
Gewalt entsteht von dem Glauben, dass andere Menschen unsere Schmerzen verursachen und dafür Strafe verdienen.